"Friesekes fulminanter Erstling
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ein trinkfreudiger Textsortentumult voll literarischer Bezüge, ein Hochfest der deutschen
Sprache zwischen Schwulst und
Werbeschwachsinn,
zum Abschied von allem, was uns
teuer war."
(R. D. de la Escosura)
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Das elitäre Klassentreffen beginnt am Ostersamstag im Schuldheiß’schen Eigenheim, wo sich Friedhelm und Franz-Xaver mit Wohlstand und Familienglück ihres erfolgreichen Klassenkameraden konfrontiert sehen. Während Friedhelm sein Heil in alten Schulgeschichten sucht, hält sich Franz-Xaver den nahe liegenden Vergleich durch verzweifelten Spott vom Leibe. In Florestans jüngster Tochter Helene vermag er ein Gefühl trotziger Solidarität zu wecken, doch vor der transzendenten Beredsamkeit des Schwiegervaters Erwin Sorkel bleibt ihm nur die Kapitulation.
Nach dem etwas abrupten Aufbruch durchwandern die Freunde die österlich geschmückte Innenstadt und lassen sich zu später Stunde in einen unterirdischen Nachtclub locken, wo ein bizarres Publikum versammelt ist: Freudenmädchen und Frauenrechtlerinnen, Esoteriker und berufsmäßige Besserwisser, Raufbolde, Karl-May-Forscher, barocke Studenten und Gespenster aus der Vergangenheit. Bei Alkohol und Live-Musik verschwimmen im »Venusberg« die Grenzen von Innen und Außen; Einst und Jetzt wirbeln durcheinander, und Dr. Schnepperling muss ganz nach unten, um wieder aufzukommen. Aus tiefster Demütigung rettet ihn seine Geliebte, die Nachwuchsdichterin Anežka, ins Freie.
Letztes Ziel des Ausflugs in die eigene Biographie ist die Sternwarte des alten Gymnasiums. Durch die dunklen Korridore, die von ergötzlichen wie schmerzlichen Reminiszenzen bevölkert sind, steigen die ermüdeten Wanderer auf das Dach des Gebäudes, wo Schlichthärle durch eine seit dem Nachmittag aufgeschobene Mate-Zeremonie Ruhe und Versöhnung zu schaffen hofft. Florestan aber schläft bald missmutig ein, und während Anežka durchs Fernrohr blickt, muss sich Franz-Xaver in einem letzten Zwiegespräch unter dem Sternenhimmel von manchem Irrtum verabschieden. Ein rätselhafter Gast aus dem Mittelalter führt ein unerwartetes Ende herbei.
GLIBBER bis GRÄZIST – der Titel zitiert einen Band des Grimmschen Wörterbuches – ist das detaillierte Protokoll des Zusammenbruchs einer narzisstischen Identitätskonstruktion. Dem dreiteiligen Bauplan liegt die Midlife-Crisis-Dichtung Dantes zugrunde, von der denn bei Tisch und unterwegs immer wieder die Rede ist. Debattiert wird auch über Karl May (dessen Todestag sich 2012 zum hundertsten Male jährt), über Musik, Bildung, Gesellschaft und Religion. Das Spektrum der eingewirkten Textsorten reicht vom populärwissenschaftlichen Diskurs über Stammtischprahlerei und Produktwerbung bis zur literarischen Persiflage. Musikalische Einlagen, Gedichte in mehreren Sprachen und der Wechsel von Monolog, Dialog und Polyphonie lockern das dichte Gewebe auf.
Siegfried
Friesekes fulminanter Erstling ist ein
thematisch, strukturell und stilistisch anspruchsvolles, aber durch
seine parodistische
Charakterzeichnung und die schiere Vielfalt der Formen und Inhalte
gleichzeitig
sehr unterhaltendes Buch.
»... when a monk asked the master Chi-ch'en, ›What is the way upward?‹ the latter replied, ›You will hit it by descending lower.‹« (Wu, The Golden Age of Zen)